Das Kommen und Gehen der Favoriten

Foto: Manfred Binder/NÖ Open

Drei klare Angelegenheiten, zwei beinharte Fights und eine waschechte Überraschung lieferten die Freitag-Matches beim ATP100 Challenger am TC Tulln. Am Samstag folgen das Doppel-Endspiel und die Halbfinale im Einzel.

Das Line-up fürs Viertelfinale der NÖ Open powered by EVN 2023 war einerseits bärenstark und andererseits nicht wirklich überraschend, sind mit den Herren Ramos-Vinolas, Marterer und Cobolli immerhin die Nummern eins, drei und vier der Setzliste am Werk gewesen. Und zu tun hatten sie es zum allergrößten Teil mit Gegnern, die ebenfalls zumindest einen Challenger-Titel am Konto haben. Einzig der Deutsche Youngster Henri Squire (22) war bislang erst auf der ITF-Tour erfolgreich und sicherte sich dort heuer zwei Turniersiege.

Den Anfang machte Maxi Marterer (ATP-Nr. 130) gegen den Argentinier Santiago Rodriguez-Taverna (ATP-Nr. 270). Am Papier ein ungleiches Duell, stand der Deutsche doch bereits auf Platz 45 der Weltrangliste, während es der Mann aus Buenos Aires „erst“ bis auf Rang 157 schaffte. Aber wie immer lag die Wahrheit auch in Tulln am Platz, bzw. am Centercourt. Und so legte der Argentinier einen großartigen Start hin, knackte das Marterer-Service in Satz eins gleich zweimal und ging mit 6:4 in Front. In Satz zwei gelang es dann Marterer, das Percentage seines Linkshänderaufschlag nach oben zu schrauben und 83 Prozent erste Aufschläge ins Feld zu knallen und damit auch zu 83 Prozent den Punkt zu machen. Ergo: 6:4 für den Mann aus Nürnberg. Völlig ausgeglichen dann Satz drei – bis Deutschlands Nummer sechs im finalen Tie-Break doch um eine Spur aktiver auftrat, nur einen einzigen Gegenpunkt zuließ und letztlich mit 4:6, 6:4 und 7:6 als Erster ins Semifinale einzog. Ebendort musste sich zeitgleich das Tullner „Einser-Doppel“, die französische Paarung Arribage/Sanchez, gegen das polnisch-deutsche Duo Matuszewski/Wehnelt denkbar knapp mit 6:7, 7:6, 8-10 geschlagen geben.

Deutlich eiliger hatte man es dann in den folgenden beide Einzelpartien. Und mit dem Tschechen Vit Kopriva war es jener Mann, der schon die Nummer 2 der Setzliste, den Niederösterreicher Jurij Rodionov, im Achtelfinale in drei Sätzen verabschiedet hatte, und nun mit dem Bezwinger von Dennis Novak, dem Bulgaren Dimitar Kuzmanov, besonders kurzen Prozess machte. Dieser brachte ein 6:1 und 6:1 in 1:09 Stunden und die erste fixe Semifinal-Paarung für Samstag, an dem Kopriva auf Marterer treffen wird.

Noch heftiger aufs Tempo drückte dann der erst 21-jährige Flavio Cobolli, der nur drei Jahre nach seinem Einstieg in die Weltrangliste bereits auf Platz 137 steht. Der Italiener scheuchten den aufschlagstarken, aber an diesem Freitag etwas schlaksig wirkenden Miedler-Bezwinger Henri Squire (22, ATP-Nr. 278) aus Duisburg mit gefinkeltem Winkelspiel und wohldosierten Stoppbällen über den Centercourt. Für seinen 6:1, 6:2-Sieg brauchte der junge Mann aus Florenz gerade einmal 49 Minuten. „Ich bin sehr zufrieden mit meiner heutigen Leistung! Es fühlt sich großartig an, wenn eine Taktik wirklich perfekt aufgeht“, so Flavio Cobolli gleich nach dem Match. Welche Strategie dann im Semifinale gefragt sein würde, konnte der von seinem Vater, dem Ex-Profi Stefano, betreute Cobolli unmittelbar im Anschluss ertüfteln.

Im letzten Freitagseinzel bekam es nämlich der topgesetzte Spanier Albert Ramos-Vinolas mit dem aktuell bestgereihten Inder Sumit Nagal (26, ATP-Nr. 189) zu tun. Und der quirlige Rechtshänder zeigte von Beginn wann, welche Qualitäten ihn unter die letzten Acht der NÖ Open powered by EVN gebracht hatten: technisch solide Grundschläge und unbändiger Kampfgeist. Zwei Elemente, auf die aber halt auch Lefty Ramos-Vinolas seit Jahren baut und die diesen etwa 2017 bis auf Platz 17 der Weltrangliste gehievt haben. Die für Tulln 2023 logische Folge war einen hochdramatische Partie mit spektakulären Ballwechseln, in denen in Satz eins letztlich Nagal mit 7:6 die Nase vorne hatte. Nicht wenige Fans auf den bestens gefüllten Tribünen erwarteten danach einen katalanischen Gegenschlag. Allein der Mann aus dem nordindischen Jhajjar ließ es voll konzentriert weiter krachen und nahm dem Spanier bei 1:1 den Aufschlag ab, bestätigte unmittelbar danach das Break und legte bei 5:3 ein weiteres zum doch überraschenden Sieg nach. 7:6 und 6:3 und ein Sumit Nagal, der nach dem Match so analysierte: „Der Schlüssel war, dass ich mich heute, nach meinen Magenproblemen von gestern, wieder topfit gefühlt habe. Nachdem ich mir Satz eins erkämpfen konnte, habe ich gespürt, wie mehr Selbstvertrauen gekommen ist. Ich bin wirklich happy und freue mich schon auf das Semifinale gegen Flavio Cobolli!“

Schon vor dem Matchball am Centercourt „entledigte“ sich übrigens der auch noch im Doppel an der Seite seines Landsmannes Daniel Masur engagierte Maximilian Marterer der Zweifachbelastung. Nach dem 3:6, 4:6 gegen das slowenisch-tschechische Paar Rola/Kolar kann sich Marterer auf sein samstägliches Einzel gegen Kopriva konzentrieren. Und seine Bezwinger auf ihr Endspiel gegen Matuszewski/Wehnelt.

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